Eingeseifte Barbier, Der (Rezitation)

Text: Erich Kästner

Friseure müssen, wenn sie seifen, reden.
Auch mein Friseur, mit Namen Guido Stich.
Er übertrifft bestimmt im Reden jeden.
Und er verwechselt dauernd mir und mich.

Er spricht, als wäre er debeigewesen.
Er weiß genau, wenn eine Meldung lügt.
Die Kunden müssen keine Zeitung lesen.
Sie haben ja den Stich. Und das genügt.

Indes er das Rasiergeschäft erledigt,
bedient er, ob sie wollen oder nicht,
die eingeseiften Herrn mit seiner Predigt.
Er kann nur schaben, wenn er dazu spricht.

Die Weltgeschichte und den Lauf der Zeiten
macht er bekannt. Und auch den neusten Mord.
Wenn gute Reden, sagt er, sie begleiten,
dann fließt die Arbeit, sagt er, munter fort.

Der Deutsche, sagt er, wäre schwer zu reizen.
Doch wenn, dann würde er zum wilden Tier.
Er würde ganz wie 1813.
Er mache wieder mit. Als Stabsbarbier.

Wir müßten, sagt er, Deutschland niederbrennen,
und ganz zugrunde gehen müssten wir.
Damit wir uns auf unsern Stolz besännen.
Er mache wieder mit. Als Stabsbarbier.

Er ist mobil. Die Messer sind geschliffen.
Nur  e i n s  versteht er nicht, der liebe Kerl:
Sich selbst barbieren, hat er nie begriffen!
(Und eingeseift wird er von August Scherl.)

 

Text: Erich Kästner

Zitiert nach Ernst Busch: Erich Kästner. Lieder, Gedichte, Epigramme. Aurora 5 80 033/34. Hrsg. 1969, Nachauflagen 1972 und 1974.