Busen marschiert, Der
Text: Erich Kästner; Musik: Walter Goehr
Frühmorgens geht das Kleid bis zum Knie
und das Fräulein ins Büro.
Das Kleid sitzt stramm auf der Anatomie
und läßt keinen Raum für die Phantasie.
Man sieht den Bestand ja auch so.
Da wird nichts an- oder abgeschraubt.
Da gilt kein Pseudonym.
Denn was man nicht sieht, das wird nicht geglaubt.
Der Körper ist so, wie er ist, erlaubt.
Und die Haut paßt haarscharf ins Kostüm.
Das wäre also der neue Stil?
Immer kurz, immer jung, immer schlank?
Doch schon wird der Frau das Zuwenig zuviel.
Es war nicht ihr Ernst, sondern wieder nur Spiel.
Und sie spuckt in den Kleiderschrank.
Aber abends, da flattert der Überhang,
und die Schleppe rauscht ums Gebein.
Der Wahn war kurz. Der Rock wird lang.
Und die Brust steht vor wie der erste Rang
und schläft im Stehen ein.
Die Waden sind weg. Und die Hüften sind hin.
Der Schwund ist ziemlich komplett.
Nur der Busen marschiert und stößt ans Kinn.
Und die Frauen ähneln der Königin
Luise und tragen Korsett.
Nun tun sie wieder, als wären sie Feen,
und schweben massiv durch das Haus.
Doch wenn sie derartig vorübergehn,
so geht den Männern, die das sehn,
vor Schreck die Zigarre aus.
Text: Erich Kästner
Musik: Walter Goehr
Zitiert nach Ernst Busch: Ernst Busch singt und spricht – Erich Kästner liest Kästner. Aurora 5 80 035/36. Hrsg. 1969, Nachauflagen 1972 und 1974.