Spanienliederbuch

Canciones de las Brigadas Internacionales

Spanienliederbuch von Ernst Busch (5. Aufl., 1938)Von März 1937 bis Juli 1938 nahm Ernst Busch als singender Truppenbetreuer am Spanischen Bürgerkrieg teil. In dieser Zeit avancierte er zum Vorsänger der Internationalen Brigaden. Auf seinen Einsatz hatte er sich gut vorbereitet und bereits in Moskau Lieder gesammelt und zum Teil selbst geschrieben.

Busch war einer von vielen Künstlern und Schriftstellern, die nach Spanien fuhren und ihre Solidarität mit der republikanischen Regierung bekundeten. Wie etwa der Reporter Egon Erwin Kisch, mit dem sich der Sänger in Madrid traf, war sich auch Busch der internationalen Dimension des ursprünglich innerspanischen Konflikts bewusst: Die Anhänger der Republik mussten sich nicht nur gegen den Putschisten Franco zur Wehr setzen, sondern wurden auch von dessen militärischen Unterstützern Portugal, Italien und Deutschland unter Druck gesetzt. In Spanien wurde somit – und dies war nicht nur die Interpretation der Kommunisten, sondern der gesamten politischen Linken – stellvertretend gegen den Faschismus in Europa gekämpft. Abgesehen von der Hilfe, die Spaniens Regierung aus Frankreich und der Sowjetunion erhielt, gab es etwa 40.000 ausländische Freiwillige, die neben dem regulären Volksheer gegen Francos Truppen kämpften. Für die moralische Unterstützung dieser Internationalen Brigaden wollte Busch als Sänger etwas tun, insbesondere für die etwa 3000 Deutschen unter ihnen, die zumeist der XI. Brigade (die fünf ausländischen Brigaden trugen die Nummern XI bis XV) zugeteilt worden waren. Dass sich so viele Freiwillige am Krieg beteiligten, „war sowohl auf die internationale Solidarität mit der Sache des Antifaschismus als auch auf weit materiellere Motive zurückzuführen: auf Arbeitslosigkeit, politische Emigration, Abenteuerlust“ (Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936-1939. Darmstadt 1991, S. 111).  Zumindest das Letztere galt wohl nicht nur für die Interbrigadisten, sondern auch für den Sänger Ernst Busch.

Busch besuchte die Kämpfer der Internationalen Brigaden und sang für sie (und mit ihnen) unter freiem Himmel und in Hospitälern und trat über 50-mal im Rundfunk auf: in Valencia, Madrid und vor allem bei Radio Barcelona. Dieser Sender brachte am Abend jeweils ein 15-minütiges deutschsprachiges Programm, bei dem er seine Lieder „ins Mikro brüllen“ konnte, wie er seinen russischen Freund Grigori Schneerson wissen ließ. Darüber hinaus nahm Busch sechs überwiegend neue Titel im Odeon-Studio in Barcelona auf Schallplatten auf. Doch die meiste Zeit verbrachte der Sänger mit den Vorbereitungen für sein erstes Liederbuch: Es erschien im April 1937 unter dem Titel „Kampflieder der Internationalen Brigaden“ und wurde von Busch ständig erweitert und umgearbeitet, sodass es von Auflage zu Auflage umfangreicher und mehrsprachiger wurde. Bald hieß es „Canciones de las Brigadas Internacionales“, und im Sommer 1938 lag bereits die fünfte Version vor (Bild oben links). Es enthielt mehr als 150 Lieder in 15 Sprachen, wobei die fünf dominierenden Sprachen spanisch, italienisch, französisch und deutsch waren. Aber auch Lieder auf Jiddisch und Chinesisch waren dabei. Es handelte sich überwiegend um historisch-politische Lieder linksradikaler Tendenz. Das bekannteste Lied war die in sieben Sprachen abgedruckte „Internationale“. Buschs Handschrift zeigte sich deutlich vor allem im deutschsprachigen Teil, der nicht nur seine alten Paradenummern von Brecht und Eisler enthielt, sondern insbesondere die neu geschaffenen Spanienlieder, die Weinert, Dessau, Schneerson und er selbst geschrieben hatten. Wenig zimperlich ging Busch dabei mit Texten um, die ihm für die Situation ungeeignet schienen, etwa mit Brechts „Solidaritätslied“. In einem Interview erklärte Busch später:

„Ich konnte zum Beispiel das ‚Solidaritätslied‘ überhaupt nicht singen […] Wenn ich das gesungen hätte im Schützengraben: ‚Kommt heraus aus eurem Loche, das man eine Wohnung nennt / Und nach einer grauen Woche folgt ein rotes Wochenend!‘ – das wäre blöd gewesen […].“ 

Also wurde eine neue Version geschrieben und veröffentlicht. Die Methode der konsequenten Anpassung und Aktualisierung, die er auch nach 1945 beibehielt, war während des Bürgerkriegs erstmals zentraler Bestandteil seiner Arbeitsweise. So begannen die Umdichtungen, die Busch in Spanien schuf, sich zu verselbstständigen und Eingang zu finden ins Bewusstsein und die Erinnerung zahlreicher Menschen:

„Alles was wir jetzt singen, das haben wir in Spanien geändert […]. Das ist das ‚Solidaritätslied nach Brecht. […]: ‚Freiheitskämpfer aller Länder, preist den Ruhm der Solidarität / Denn sie ist die stärkste Waffe, der kein
Gegner widersteht / Vorwärts und nicht vergessen […]'“

Busch versah sein Büchlein nicht nur mit Texten und Noten, sondern fügte Fotos von Komponisten und Dichtern ein, darunter auch sein eigenes Porträt:

Doppelseite 96/97 aus den ''Canciones''

Das Spanienliederbuch diente Busch in späteren Jahren in der SBZ/DDR immer wieder als Vorlage, wenn es darum ging, Liederbücher – etwa für seinen Verlag Lied der Zeit – zusammenzustellen. Einiges von diesem Material floss beispielsweise ein in das Buch „Internationale Arbeiterlieder“, das zahlreiche Auflagen in der DDR erlebte (vgl. die Buchproduktion von Lied der Zeit).

Wie wirksam Busch als Vermittler von Liedern in Spanien war, lässt sich einigen Veröffentlichungen ehemaliger Interbrigadisten entnehmen, die zwar größtenteils eher Memoiren- oder Erlebnischarakter haben, aber oft Auskunft geben über die Verbreitung der Busch-Lieder. So findet sich in den Erinnerungen eines US-amerikanischen Spanienkämpfers eine Zusammenstellung von Songs, die auch zahlreiche Titel aus den „Canciones“ enthält wie etwa das „Lincoln-Bataillon“ oder „Hans Beimler“, die beide von Busch stammen. Dass der ehemalige US-Interbrigadist diese Lieder allerdings bereits während des Krieges gekannt und gesungen hat, ist so gut wie ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass er sowie zahlreiche andere ehemalige Spanienkämpfer Lieder wie „Spaniens Himmel breitet seine Sterne“ erst nach dem Ende des Krieges, also nach Francos Sieg 1939, kennen und schätzen lernten. Dadurch dass die Lieder auf Platten vorlagen und dadurch dass beispielsweise die amerikanische Plattenfirma Keynote die Titel, die Busch in Barcelona eingespielt hatte, im Jahr 1940 unter dem Titel „Songs for Democracy“ neu herausbrachte, wurden sie zu idealen Trägern der Erinnerung und teilweise recht populär. Buschs Spanienlieder halfen (nicht nur den Spanienkämpfern selbst), die Erinnerung wach zu halten. Sie trugen auch dazu bei, einen Mythos zu festigen, den Mythos der Internationalen Brigaden und ihres Kampfes gegen den Faschismus, der vor allem in der DDR gepflegt wurde.* Dieser Mythos, der bei der politischen Linken lange einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Spanischer Bürgerkrieg im Weg stand, ließ auch das Wirken von Busch in Spanien aufopferungsvoller und heroischer erscheinen als es war. So wurde der Sänger in der DDR-Literatur häufig als „Spanienkämpfer“ bezeichnet, obgleich er an den militärischen Auseinandersetzungen nachweislich nicht beteiligt war. Inwieweit die antifaschistischen Aktivitäten des Künstlers auch während des Bürgerkriegs Wirkung zeigten, ist nur schwer zu beurteilen. Fest steht, dass Busch mit seinen Liederbüchern und martialischen Gesängen der Hoffnung der Interbrigadisten auf den militärischen Sieg sehr stimmungsvoll Ausdruck verlieh. Dies ist vielfältig gewürdigt und auch von Schriftstellern literarisch verarbeitet worden. Stellvertretend sei hier Egon Erwin Kisch zitiert, der über die Live-Auftritte des Sängers schrieb:

„Wenn Paul Robeson, der amerikanische Negersänger, wenn Ernst Busch, sein weißer Bruder, an der Front oder im Lazarett auf einem rasch improvisierten Podium sangen – aus allen Kehlen und in allen Zungen erscholl der Kehrreim mit.“ 

* Das unverwüstliche „Spaniens Himmel breitet seine Sterne“ (Kabisch/Dessau), das durch Busch zum linken Lagerfeuer-Hit wurde, avancierte in der DDR zu einem Lied, das – was Bekanntheit und Symbolkraft betrifft – höchstens noch mit der Nationalhymne konkurrierte.