Praktische Hinweise
Praktische Hinweise für historische Interviews =
qualitative lebensgeschichtliche Interviews
a) Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
- möglichst genaue Festlegung des Oberthemas des Oral History-Projekts
- umfangreiches Vorwissen über das Thema (Literatur u. Quellen!)
- Klarheit über den Zweck des Projekts
b) Wie gestaltet sich der erste Kontakt zu den Zeitzeugen?
- Aufrufe in der lokalen Presse
- Anfragen bei Vereinen, politischen Organisationen u. anderen (themennahen) Institutionen
- Anfragen bei Zeitzeugenbörsen
- Kontakt durch sog. „Mittler-„ oder „Brückenfiguren“ o. direkt durch Brief bzw. Telefon
- evtl. Vorgespräch mit der Person führen (so schafft man Vertrauen und kann nützliches Vorwissen über den Gesprächspartner / die Gesprächspartnerin erwerben)
c) Welche Hilfsmittel und Medien sind erforderlich?
- professionelles Aufnahmegerät mit externem Mikro und manueller Steuerung d. Lautstärke; der Recorder sollte auch unabhängig v. Netz betrieben werden können (frische Batterien!)
- evtl. zusätzlich Fotoapparat oder Videokamera (dann aber mit Kameramann bzw. –frau)
- vorher notierte Leitfragen, die vom Themenschwerpunkt abhängen und z.B. biografische Daten, soziale Herkunft oder politisches Engagement der Person betreffen
- evtl. Werkstatt-Tagebuch, in d. unmittelbar nach d. Gespräch Eindrücke festgehalten werden
d) Was ist bei der Durchführung des Interviews zu beachten?
- hinsichtlich Ort und Zeit: Rücksicht nehmen auf Alltagsgewohnheiten der Person
- zu Beginn: Informieren ü. d. Zweck des Interviews und Hinweisen auf das Aufnahmegerät
- evtl. Interview-Buch führen, d.h. Strukturieren des Gesprächs durch Notizen mit Hilfe des Zählwerks am Recorder
- mit möglichst unproblematischen Fragen anfangen; falls es sich nicht um eine bekannte Person der Zeitgeschichte handelt, können z.B. zunächst biografische Daten und soziale Herkunft geklärt werden
- die Person nicht durch ein starres Fragekorsett einengen; ggf. Fragen spontan modifizieren
- die Leitfragen helfen, eine „Erinnerungsstruktur“ entstehen zu lassen (die selten linear, eher spiralförmig kreisend ist, sodass man auf bestimmte Punkte wieder zurückkommen kann)
- eigene Meinung sparsam einfließen lassen: ein Interview ist keine Disskussion!
- bei emotional aufgeladenen Themen sind Takt und Anteilnahme selbstverständlich
- alte Fotos u. andere Materialien können der Erinnerung auf die Sprünge helfen
- evtl. nehmen unerwartet weitere Personen (z.B. Ehepartner) am Gespräch teil: Hier ist eine gewisse Vorsicht geboten!
e) Wie wird das Interview ausgewertet?
- Gefahr des Sammelns: Kassetten oder Mini-Discs vergammeln ungehört in irgendeiner Ecke
- Text unbedingt sichern u. transkribieren (allerdings heißt Transkription auch Reduktion)
- beim Verschriftlichen auf jeder Seite den Stand des Zählwerks notieren
- am Rand jeder Seite Stichworte zum Inhalt machen, um bestimmte Stellen besser auffinden zu können
- Abgleichen der im Gespräch erwähnten (strittigen) Fakten mit anderen Quellen
- evtl. Mehrfach-Interview erforderlich, wenn beim Transkribieren weitere Fragen auftauchen
- das erhobene Material für die Forschung nutzen, bearbeiten und wenn möglich publizieren
- den Zeitzeugen Rückmeldung geben, was aus dem Oral-History-Projekt geworden ist
Literatur zum Thema:
GRAF, WERNER: Das Schreibproblem der Oral History. In: Literatur & Erfahrung, Heft 10: Oral History – Geschichte von unten. Berlin 1982, S. 100-105.
HOWARTH, KEN: Oral History. Stroud (GB) 1999.
NIETHAMMER, LUTZ (Hrsg.): Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“. Frankfurt am Main 1985. Thompson, Paul: The Voice of the Past. Oral History. Oxford (GB) u.a. 1978.
VORLÄNDER, HERWART (Hrsg.): Oral History. Mündlich erfragte Geschichte. Acht Beiträge. Göttingen 1990.