Graphic History

Nieder mit Hitler! oder Warum Karl kein Radfahrer sein wollte

„Ein Comic, der eindrucksvoll zeigt, was Mut auch im Kleinen gegen Unrecht bedeutet.“

(Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Cover des Comics         

im avant verlag

Das Graphic Novel-Projekt NIEDER MIT HITLER kreist um die kleine Weiße Rose von Thüringen: Im Mittelpunkt steht Karl, anfangs ein ganz normaler sport- und HJ-begeisterter Junge. Doch dann passiert etwas, das ihn umdenken lässt. Die Geschichte handelt vom mutigen Einsatz des Schülers und seiner Freunde gegen den Nationalsozialismus, von der anschließenden Gefängnishaft und dem Leben danach in der DDR. Der rote Faden besteht in der doppelten Diktaturerfahrung des Protagonisten und verleiht der Graphic Novel einen besonderen erzählerischen Reiz. Gezeichnet wird sie von dem Berliner Comic-Künstler Hamed Eshrat.

Wer ist Karl?

Erfurt 2018. In der Stadt lebt ein alter Mann, der in zwei Diktaturen den aufrechten Gang geübt hat. Er spricht nicht gerne darüber, dafür ist er zu bescheiden. Immerhin: Einige in der Stadt wissen, dass er sich zu DDR-Zeiten als Pfarrer gegen die SED gestellt hat. Die Stasi hatte ihn im Visier, er war in der unabhängigen Friedensbewegung aktiv, an seiner Jacke trug er den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ und wurde dafür von der Polizei gemaßregelt. Und im Herbst 1989 ging er für die Friedliche Revolution auf die Straße. Gefängnishaft blieb ihm in der DDR erspart. Doch was bis vor kurzem kaum jemand wusste: Der Mann hatte bereits vor 1945 viel riskiert: Gemeinsam mit vier Freunden stellte er Flugblätter gegen den Nationalsozialismus her und kam dafür ins Zuchthaus. Mit Glück entging er der Todesstrafe. Diese erste extreme Diktaturerfahrung kapselte er jahrzehntelang in sich ab. Der Mann ist kürzlich 90 Jahre alt geworden und heißt Karl Metzner. Die Graphic Novel NIEDER MIT HITLER! erzählt nun erstmals seine Geschichte.

Wieviel Recherche ging dem Comic voraus?

Der Graphic Novel vorausgegangen ist ein dreijähriges Forschungs- und Bildungsprojekt zum Erfurter Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Im Zentrum stand die bislang unbekannte Gruppe um Jochen Bock, der neben Karl Metzner auch Gerd Bergmann, Helmut Emmerich und Joachim Nerke angehörten. „Nieder mit Hitler!“ schrieben die Schüler 1943 an Schutzhütten im Stadtwald. Ein Ende des Krieges forderten Sie auf Flugblättern. Die Widerstandsgruppe wurde von Mitschülern verraten und von der Gestapo verhaftet. Die Widerständler waren 15 und 16 Jahre alt, als man sie im Gefängnis in der Andreasstraße inhaftierte. Es drohten ihnen ein Prozess wegen „Hochverrats“ und schwere Strafen…

Über 70 Jahre später erforschten Studierende der Universität Erfurt erstmals die Hintergründe der mutigen Widerstandsaktion. Neben der Stiftung Ettersberg / Gedenkstätte Andreasstraße (Dr. Jochen Voit) waren an dem Kooperationsprojekt auch der Erinnerungsort Topf & Söhne (PD Dr. Annegret Schüle), die Universität Erfurt (Prof. Dr. Christiane Kuller) sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligt. Es entstanden eine wissenschaftliche Publikation, ein Dokumentarfilm, eine Website zum Projekt (www.nieder-mit-hitler.de) sowie pädagogisches Material zum Thema.

Warum Comic?

„‚Der Reiz der gezeichneten Geschichte besteht in den erzählerischen Möglichkeiten. Dadurch, dass wir die Vergangenheit zeichnen, machen wir uns als Autoren ehrlich. Wir geben nichtvor, rein dokumentarisch zu arbeiten, sondern zeigen, dass wir interpretieren. Ich verstehe Comics und Graphic Novels als ein widerspenstiges Medium, dem die Individualität schon durch seine Machart eingeschrieben ist‘, sagt Jochen Voit. Kennengelernt hatten sich er und Zeichner Hamed Eshrat 2016 bei einer Comic-Messe. Der Deutsch-Iraner sei sofort an der Idee interessiert gewesen, seitdem habe man intensiv an der Umsetzung gearbeitet.

Beteilgt war daran auch der letzte Überlebende der Widerstandsgruppe, Karl Metzner. Am 26. August 2018 ist er mit 91 Jahren verstorben. Es habe einiger Überredungskunst bedurft, ihm den Comic schmackhaft zu machen, räumt Jochen Voit ein. Letztlich habe er dem Projekt seinen Segen gegeben, auch weil ihm die Pfarrerin seiner Gemeinde erklärt habe: ‚Karl, so erzählen die jungen Leute heute Geschichte.‘

Jochen Voit: ‚Ohne Karl Metzners Hilfe hätten wir den Comic so nicht machen können. Er steuerte Originaldokumente bei und erlaubte uns, aus Briefen zu zitieren, die er aus dem Gefängnis an seine Mutter schrieb. Und er beantwortete geduldig unsere Fragen. Viele seiner Aussagen flossen 1:1 in die Geschichte ein.‘ (…) Gefragt, was ihn an dem Hochbetagten so fasziniert habe, sagt Jochen Voit: ‚Seine Risikobereitschaft und sein aufrechter Gang in zwei unterschiedlichen deutschen Diktaturen. Und seine Bescheidenheit.'“ (Hanno Müller in der Thüringer Allgemeinen am 15. September 2018)

Beispiel für eine der benutzten schriftlichen Quellen:

Abschrift des Flugblattes der Widerstandsgruppe aus den Gerichtsakten 1943

Abschrift des Flugblattes der Widerstandsgruppe aus den Gerichtsakten 1943 / Sammlung Gedenkstätte Andreasstraße