Stempellied (Lied der Arbeitslosen)

Text: David Weber (= Robert Gilbert); Musik: Hanns Eisler

STEMPELLIED 1929

Keenen Sechser in der Tasche,
bloß ’n Stempelschein.
Durch die Löcher der Kledaasche
kiekt die Sonne rein.
Mensch, so stehste vor der Umwelt
jänzlich ohne was;
wenn dein Leichnam plötzlich umfällt,
wird keen Ooge naß.
Keene Molle schmeißt der Olle,
wenn er dir so sieht ..-.. Tscha
die Lage sieht sehr flau aus,
bestenfalls im Leichenschauhaus
haste noch Kredit.

Stellste dir zum Stempeln an
wird det Elend nich behoben. –
Wer hat dir, du armer Mann,
abjebaut so hoch da droben?

Ohne Arbeit, ohne Bleibe
biste null und nischt.
Wie ’ne Fliege von der Scheibe
wirste wegjewischt.
Ohne Pinke an der Panke
stehste machtlos da,
und der Burschoa sagt: Danke!
rückste ihm zu nah.
Äußerst schnell schafft
die Jesellschaft Menschen uff ’n Müll –
Wenn de hungerst, halt de Fresse;
denn sonst kriegste ’ne Kompresse –
und das mit Jebrüll.

Stellste dir zu pampich an,
setzt et jleich ’n Wink von oben –
denn es hab ’n dich armen Mann
abjebaut die hoch da droben.

Und so kieken dir de Knochen
sachte aus der Haut.
Und du bist in wen’gen Wochen
völlig abjebaut.
Und du koofst dir een paar Latten
für ’ne letzte Mark;
denn für eenen dünnen Schatten
reicht ’n dünner Sarg.
Nur nich drängeln
zu die Engeln
kommste noch zur Zeit.
„Holde Rationalisierung“
singt dir de Jewerkschaftsführung
sinnig zum Geleit.

Stell dir vorsichtshalber dann
Jleich zum Stempeln an auch oben –
denn du bleibst, als armer Mann,
abjebaut auch hoch da droben.

 

Text: David Weber (= Robert Gilbert, eigtl. Robert Winterfeld)
Musik: Hanns Eisler

Zitiert nach Ernst Busch: Die goldenen zwanziger Jahre. Aurora 5 80 008/009. Hrsg. 1964. Das Lied, mit dem Ernst Busch im Berlin der Weimarer Republik populär geworden ist, entstand 1929.