Eines alten Seebären Schwanensang
Text: Walter Mehring / Musik: Friedrich Hollaender
(aus dem Granowski-Tonfilm „Das Lied vom Leben“)
Wenn man fünfzehn ist, ist der Ozean weit
Und bei Muttern ists eng – und man flieht.
Und die Welt stehe offen dem Seemannskleid
Und der Seemann sei frei! – Aber Schiet!
in Kingston morgen – in Tokio heut
Es ist immer wieder dasselbe:
Kombüsen gescheuert und Fässer vertäut
Und machst du schlapp, wird ein andrer betreut
Mal Schwarze, mal Blonde, mal Gelbe!
Und kehrst du heim wie Mulatten gefärbt
Von Malaria und Sünden geplagt
Und die Haut von Prügeln und Stürmen gegerbt
Weißt du, was Muttern dann sagt:
Baby, wo ist mein Baby?
Groß ist der Ozean – mein Baby klein!
Und wenns zum Nordpol fährt
Und wieder heimkehrt
Paßt Baby immer noch ins alte Bettchen rein!
Lulle-lu, mein Baby, lulle-lu!
Mein Baby, schlafe du, mein Baby, ein!
Mein Baby, Schlafe du, mein Baby, ein!
Die Jahre kreisen
Und wir vergreisen
Aber Baby, Baby bleibt klein!
Wenn du dreißig bist, ach dann pfeifst du drauf
Was die Hölle zusammen dir mixt.
Kneif die Augen zu! Immer runter! Und sauf!
Und wenn du in Abgründe blickst!
Eine Windsbraut morgen – die Negerin jetzt!
Es ist immer wieder dasselbe:
Von den Tropenwanzen zu Eisbären gehetzt
Die Heuer zum Suff – und das Hemde versetzt
Für Schwarze, für Blonde und Gelbe!
Und kehrst du dann heim, du gesottenes Schwein
Wo die rauchige Lampe dir blakt
Und die Decke beult dir den Schädel ein
Das erste, was Muttern dann sagt:
Baby, wo ist mein Baby?
Groß ist der Ozean – mein Baby klein!
Und wenns zum Nordpol fährt
Und wieder heimkehrt
Paßt Baby immer noch ins alte Bettchen rein!
Lulle-lu, mein Baby, lulle-lu!
Mein Baby, schlafe du, mein Baby, ein!
Die Jahre kreisen
Und wir vergreisen
Aber Baby, Baby bleibt klein!
Wenn man sechszig ist, dann verzichtet man!
Dann rauscht keine Palme, kein Wind.
Den Topp geentert – an Bord als Mann!
Und man döst auf dem Mast wie ein Kind.
Ins Krankenhaus morgen – im Sumpfland heut
Es ist immer dasselbe:
Und wenn man vor keiner Schande mehr scheut
Und einen kein Weib und kein Whisky mehr freut
Und die Südsee nicht und nicht die Elbe –
Und wärst du alt wie Methusalem
Von der Fresse der Zeiten benagt
Deine Ohren taub und das Hirn schon plemplem
Du hörst noch, was Muttern gesagt:
Baby, wo ist mein Baby?
Groß ist der Ozean – mein Baby klein!
Und wenns zum Nordpol fährt
Und wieder heimkehrt
Paßt Baby immer noch ins alte Bettchen rein!
Lulle-lu, mein Baby, lulle-lu!
Mein Baby, schlafe du, mein Seebär, ein!
Noch unter Greisen
Beim alten Eisen
Bleibst du Baby – Baby und klein!
Text: Walter Mehring
Musik: Friedrich Hollaender
Zitiert nach Ernst Busch: Walter Mehring, Das Lied vom Leben. Rote Reihe 9 auf Aurora-Schallplatten (Au 5 80 048), hrsg. 1974.