Ballade des Vergessens
Text: Klabund; Musik: Hanns Eisler
In den Lüften schreien die Geier schon
lüstern nach neuem Aase.
Es hebt so mancher die Leier schon
beim freibiergefüllten Glase,
zu schlage siegreich den altbösen Feind,
tät er den Humpen pressen …
Habt Ihr die Tränen, die Ihr geweint,
vergessen, vergessen, vergessen?
Habt Ihr vergessen, was man Euch tat,
des Mordes Dengeln und Mähen?
Es läßt sich bei Gott der Geschichte Rad,
beim Teufel nicht rückwärts drehen.
Dein Sohn, der im Graben, im Grabe schrie
nach Dir, von Würmern zerfressen …
Mutter, Mutter, Du sollst es nie,
Du sollst es niemals vergessen!
Millionen krepierten in diesem Krieg,
den nur ein paar Dutzend gewannen.
Sie schlichen nach ihrem teuflischen Sieg
mit vollen Säcken von dannen.
Im Hauptquartier bei Wein und Sekt
Tät Mancher sein Liebchen pressen.
An der Front lag der Kerl, verlaust und verdreckt,
vergessen, vergessen, vergessen.
Es blühte noch nach dem Kriege der Mord,
es war eine Lust, zu knallen.
Es zeigte in diesem traurigen Sport
sich Deutschland über Allen.
Ein jeder Schurke hielt Gericht,
die Erde mit Blut zu nässen.
Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht
und niemals die Mörder vergessen!
(Vergaßt Ihr die gute alte Zeit,
die schlechteste je im Lande?
Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid,
die Hofherren Feigheit und Schande.
Er führte Euch in den Untergang
vom Größenwahn besessen.
Längst habt Ihr ’s bei Wein, Weib und Gesang
vergessen, vergessen, vergessen.)
Der neue Krieg kommt anders daher,
als Ihr ihn Euch geträumt noch.
Er kommt nicht mit Säbel und Gewehr,
zu heldischer Geste gebäumt noch;
Und wer die Lanze zum Himmel streckt,
sich mit wehenden Winden zu messen, –
der ist in einer Sekunde verreckt,
vergessen, vergessen, vergessen.
(Ihr heult von der Kriegs- und Friedensschuld
der Andern – Ihr wollt Euch rächen.
Woher nehmt Ihr den frechen Mut, von Schuld
und Sühne Euch freizusprechen?
Sieh Deine Fratze im Spiegel hier
von Haß und Raffgier besessen:
Du hast, war je eine Seele in Dir,
sie vergessen, vergessen, vergessen.)
Ihr hetzt zum Krieg, zum frischfröhlichen Krieg,
und treibt die Toren zu Paaren.
Ihr werdet nur einen einzigen Sieg:
den Sieg des Todes gewahren.
Zu Spät ist’s dann, von der Erde zu fliehn
mit etwa himmlischen Pässen.
Gott hat Euch aus seinem Munde gespien,
Gott hat Euch auf ewig vergessen!
Text: Klabund
Musik: Hanns Eisler
Zitiert nach Ernst Busch: Zeit-, Leid-, Streitgedichte. Erich Mühsam / Klabund. Aurora 5 80 016/017. Hrsg. 1966, Nachaufl. 1969 u. 1974.