Geschichte schreiben

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Leseproben

Zur Entstehung der Parole „Die Partei hat immer recht!“

(Auszug aus dem Kapitel „Kapitalist, Stalinist und Querulant“ aus dem Buch ER RÜHRTE AN DEN SCHLAF DER WELT. ERNST BUSCH DIE BIOGRAFIE, Aufbau Verlag 2010, S. 218-221)

 […] Der Erfolg der leicht lernbaren „Neuen Deutschen Volkslieder“ war vor allem Eislers einfallsreich-eingängiger Musik geschuldet. Der Komponist und sein Sänger haben sich, nachdem sie 1949 im Tonstudio zuerst mehr Kräche als Lieder produzierten, wieder zusammengerauft. Busch bleibt nichts anderes übrig, als die Weiterentwicklung des Freundes zur Kenntnis zu nehmen. Gestopfte Trompeten sind nicht mehr gefragt, Geigen ja, aber nicht zu süß, Marschmusik und „plebeiische Vulgarismen“ nur noch in absoluten Ausnahmefällen. „Liebes Hännschen! Hast Du Deine Weltschlager bekommen?“ Die leicht süffisante Frage des LdZ-Chefs an den Hollywood-Heimkehrer hat Eisler mit einer Komposition beantwortet, die in der Welt durchaus zur Kenntnis genommen wird. Die Nationalhymne der DDR, die er zu Bechers Text „Auferstanden aus Ruinen“ geschrieben hat, bringt Eisler 1950 den Nationalpreis I. Klasse ein. Merkwürdig ist, dass Busch die neue Hymne nicht selbst auf Platte singt – in einer seiner späteren Notizen behauptet er, die „bürgerlichen Blockparteien“ hätten dies verhindert.
Wie klingt der Stalinismus? Wenig originell. Häufig anzutreffen sind Kitsch und Rechthaberei. Wie in dem als Wiener Chanson getarnten Loblied auf „die Partei“ von Louis Fürnberg, das der Ministerrat der DDR ein paar Jahre später zum Volkslied erklären wird. Das Volk mag das Lied nicht besonders. Berühmt wird es trotzdem, geradezu berüchtigt. Busch singt das mit Abstand blödeste Lied seines Lebens mit gewohnter Hingabe, als hätte er es selbst geschrieben. „Sie hat uns alles gegeben. / Sonne und Wind. Und sie geizte nie. / Wo sie war, war das Leben. / Was wir sind, sind wir durch sie.“ Wie hat sich der Autor das gedacht? „Freundlich, aber bestimmt“ lautete die Spielanweisung, Fürnberg selbst hat es angeblich „gesungen, als ob er das seinem Sohn mitteilen wollte“.

Fürnberg, ein böhmischer Dichter und Komponist jüdischer Abstammung, hatte das „Lied von der Partei“ 1949 anlässlich des neunten Parteitages der tschechoslowakischen KP geschrieben, ein Jahr später erschien es bei LdZ auf einer Eterna-Schallplatte. „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ avanciert schnell zum geflügelten Wort und geht als klingendes Symbol ideologischer Hörigkeit in die Geschichte ein. Busch selbst regt sich noch in den 60er Jahren mächtig über das Werk auf, allerdings nicht über den obszönen Text, an dem er wenig auszusetzen hat. „Sie hat uns niemals geschmeichelt. / Sank uns im Kampfe auch mal der Mut. / Hat sie uns leis nur gestreichelt: / Zagt nicht – und gleich war uns gut.“ Den Sänger stört allein die auftaktig notierte, zu wenig ratternde Musik. Busch ignoriert bei seiner Einspielung das irgendwie kaffeehausige Element der Komposition, verlegt die „Eins“ nach vorne, singt also nicht schunkelnd, wie Fürnberg, „Sie HAT uns alles ge-GE-ben…“, sondern „SIE hat und AL-les ge-GE-ben…“ Er macht ein Marschlied daraus, und als solches wird es dann auch von FDJ-Chören geschmettert. Als der Musik- und Tanzethnologe Eberhard Rebling im Jahr 1966, zu diesem Zeitpunkt ist Fürnberg bereits verstorben, dessen Lieder (textlich dezent entschärft) ediert, ist sich Busch nicht zu schade, sich über die seiner Ansicht nach falsche Notation der Parteihymne zu beschweren. Rebling hat es gewagt, sich nach einer Tonbandaufnahme Fürnbergs zu richten, folglich den Auftakt wieder installiert. Busch tobt, ruft bei Journalisten und Musikwissenschaftlern an, die das ihm widerfahrene Unrecht öffentlich anprangern sollen. Es ging dem Sänger ums Prinzip, für ihn kann es nur eine Originalversion geben, und das war die von ihm in die Welt gesetzte.
Immerhin machte sich Busch im Lauf der Zeit auch Gedanken über Fürnbergs Text. „So, aus leninschem Geist, / Wächst von Stalin geschweißt, / Die Partei, die Partei, die Partei!“ Irgendwann nach 1956, im Zuge der Entstalinisierung, notierte er an den Rand seiner alten LdZ-Partitur, die Kombination „Lenin – Stalin“ könne man „aus politischen Gründen“ nicht mehr singen, und „Lenin – Lenin“ könne man „aus ästhetischen Gründen nicht ver-wenden“. Und zu Beginn des Refrains sollte es nun heißen: „Die Partei, die da kämpft für das Recht, hat recht.“ Diese Formulierung hatte es ihm angetan, sie taucht in verschiedenen Briefen an offizielle Stellen auf – gewissermaßen als Argument dafür, dass sich die Partei ihren Unfehlbarkeitsanspruch erst verdienen müsse. Das Fürnbergsche Glaubensbekenntnis wird dadurch nur unwesentlich relativiert. Der Publizist und Religionskritiker Joachim Kahl schreibt: „Mit dem Bewusstsein, das sich in Fürnbergs Worten ausspricht, lassen sich die größten Verbrechen begehen, und zwar mit bestem Gewissen und aus tiefster Überzeugung. Wer in den Diensten oder im Auftrag der Partei handelt, handelt für eine gute und gerechte Sache. Von erhabenen Idealen geleitet, ist er wundersam gefeit gegen Fehlgriffe und Fehltritte, wie sie zu sterblichen und irrtumsfähigen Menschen unvermeidlich gehören, solange sie leben.“

Der Busch-Gemeinde wird es gelingen, das „Lied von der Partei“, genau wie die Stalin-Hymnen, aus dem Werk ihres Idols weitgehend auszuklammern. Die viel gerühmte Identifikation des Interpreten mit den Inhalten, die er singt, darf hier offenbar nicht geltend gemacht werden. Busch habe das Lied, so heißt es allenfalls entschuldigend, „mit Zögern“ und nur „auf dringliches Bitten Louis Fürnbergs“ gesungen, der damals, tschechoslowakischer Botschafter in Ost-Berlin, bei seinen Prager Genossen nicht mehr wohlgelitten war. Das „Lied von der Partei“ findet sich auf keinem der zahlreichen nach 1950 publizierten Ernst-Busch-Tonträger. Als das Œuvre des Sängers, um das Jahr 2000 aus Anlass seines 100. Geburtstags, in digitalisierter Form erscheint, lässt der Herausgeber das Lied mit der Begründung weg, Fürnbergs in Weimar lebende Witwe habe zu ihm gesagt: „Tun Sie mir den Gefallen, machen Sie‘s nicht!“ Sie werde angefeindet in Weimar wegen dieses Liedes.

Tatsache ist, dass Busch das „Lied von der Partei“ wiederholt zu Propagandazwecken öffentlich vortrug, zum Beispiel beim III. Parteitag der SED im Juli 1950, und dass er dabei im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Das waren weder Ausrutscher noch Gefälligkeiten. Der totalitäre Charakter des Liedes, der anmaßende und durch Buschs (auch textliche) Eingriffe noch anmaßender klingende Wortlaut („Fror auch die Welt, uns war warm“) korrespondierte mit politischen Aussagen in anderen Busch-Liedern jener Phase. Es macht also wenig Sinn, das Lied im Nachhinein aus seinem Werk herauszurechnen oder so zu tun, als handle es ich hier um einen Fauxpas, quasi das unbedeutende Pornofilmchen eines ansonsten auf Charakterrollen abonnierten Filmschauspielers. Ohne die geballte Medienkompetenz und Autorität des Noten-Verlegers, Label-Chefs und Sängers Ernst Busch wäre der fatale Slogan „Die Partei hat immer recht“ niemals zum Slogan geworden. Insofern ist Buschs merkwürdiges Verständnis von Urheberrecht, das sich in dem Streit mit Rebling 1966 offenbart, sogar nachvollziehbar – in gewissem Sinn war er der Schöpfer die-ser Parole, auch wenn er es dem quäkenden Chor überließ, sie zu singen. Ähnlich wie im Fall der vergleichsweise pluralistischen Parole „Vorwärts und nicht vergessen“ sorgten erst Ernst Busch und seine Medienpräsenz dafür, dass „Die Partei hat immer recht“ fest im kollektiven Gedächtnis verankert wurde. […]

 

  1. Eisler im Gespräch mit Bunge am 6.5.1958; zit. n. d. CD „Der Brecht und ich“ (2006), Track 32.
  2. Brief von Busch an Eisler v. 27.5.1949; abgedr. in Schramm/Elsner II, S. 73.
  3. Als Louis Fürnberg 48jährig im Jahr 1957 stirbt, wird das Lied im Nachruf des Ministerrates der DDR zu den „Volksliedern“ des Dichters gezählt. Pätzold/Weißbecker 2 (2002), S. 32.
  4. Fürnberg (o.J.), S. 172 bzw. Eberhard Rebling im Interview mit dem Autor am 23.2.2006 in Ziegenhals; vgl. erinnerungsort.de.
  5. EBA I.a. Nr. 67 sowie EBA III. b. 2. Nr. 83 (Partitur).
  6. Kahl, S. 93/94.
  7. Schramm/Elsner I, S. 131.
  8. Kar-Heinz Ocasek im Interview mit dem Autor am 6.1.2000 in Kleinmachnow; vgl. erinnerungsort.de.
  9. Fürnbergs Fassung an dieser Stelle: „Wenn die Welt fast erfror, war uns warm.“ Fürnberg (1966), S. 172. Busch hat die Veränderung (auf Platte und in der LdZ-Partitur) wahrscheinlich aus purem Pragmatismus, also der besseren Singbarkeit bzw. des Versmaßes wegen, vorgenommen. Naturgemäß standen Busch und Fürnberg mit ihrer Hymne an die „Partei“ nicht allein da, so steuerte Becher zum III. Parteitag der SED die Kantate „1950“ bei, in der es heißt: „Du großes Wir, Du unser aller Willen: / Dir, Dir verdanken wir, was wir geworden sind! / Den Traum des Friedens kannst nur Du erfüllen. / Dein Fahnenrot steigt im Jahrhundertwind.“